Pankow gegen Verdrängung

Wir bleiben in Pankow!

Geschichten zum Thema Verdrängung in Berlin Pankow und Prenzlauer Berg

Was bleibt?

Blick aus dem Fenster in Richtung Mauer an der Eberswalder Straße in Berlin.

Von Annerose, seit 1957 im Prenzlauer Berg

Meine erste, wirklich einschneidende Erinnerung ist die Kuba-Krise. Ich weiß noch genau, wo ich stand, damals im November 1962. Wir Kinder spielten Hopse vor unserem Haus in der Knaackstraße, als meine Mutter sagte, jetzt gibt es wieder Krieg. Ich war fünf Jahre alt. Und ich dachte, die Welt bleibt stehen.

Kindheit am Kollwitzplatz

Damals war der Prenzlauer Berg noch ein Grau in Grau. Für uns Kinder war das normal. Die Stadt, die Mauer, die bröckelnden Nachkriegsfassaden. Wir wohnten direkt am Kollwitzplatz. Knaackstraße 35, Ecke Kollwitzstraße zusammen mit meinen Großeltern. Mein Großvater, der ursprünglich aus Kreuzberg kam, arbeitete seit 1947 als Schriftsetzer in der Druckerei am Pfefferberg, vorn an der Schönhauser Allee. Er war Kommunist und hatte während der NS-Zeit illegal für die ‚Rote Post‘ gearbeitet. Dadurch hatten wir die Wohnung bekommen. Meine Großeltern, meine Mutter, mein Vater und wir drei Kinder. Die Wohnung war riesig. Fünf Zimmer, 180 Quadratmeter. Am Anfang wohnten wir noch eine Etage tiefer zusammen mit anderen Einquartierten, ich erinnere mich an dieses Fräulein, eine von diesen Kriegswitwen, die ging sonntags immer besonders schick aus dem Haus. Später sind wir dann in die Wohnung eine Etage höher gezogen.

Unser Haus war von außen neu verputzt. Während der Ausbesserung der Schäden durch den großen Granateinschlag im ersten Stock war die Fassade gleich mitgemacht worden. Es gab kaum Verkehr. Das einzige Auto in der Knaackstraße war ein alter Dreiradwagen, mit dem die Umzüge gemacht wurden. Trotzdem haben uns unsere Eltern, obwohl der Kollwitzplatz direkt vor uns lag, zum Spielen zum Wasserturm geschickt, weil es da „keine breite Straße zu überqueren gab“.

Es gab nicht viele Läden. Bei Westphal ein paar Häuser weiter gab es Getränke. Außer Bier, das haben meine Eltern aus der alten Polizeikneipe, da, wo heute das Pasternak ist, geholt. Dann der Fischladen an der Ecke Sredzki Husemann. Da war alles in alte Zeitungen eingepackt. Dann Füllberg, der Milchladen. Die Milch wurde halbe Liter weise in Aluminiumkannen, die wir von zu Hause mitbrachten, geschöpft. Zu der Zeit gab es noch Lebensmittelkarten. Pro Person ein Stück Butter in der Woche. Direkt daneben das Gemüsegeschäft. Tagsüber kamen die Bauern und lieferten ihre Ware frisch vom Feld. Und dann der Laden, wo es alles gab, von Seife bis zur Zuckerstange, der war im Souterrain Diedenhofer Ecke Belforter. Da sind wir manchmal nach der Schule vorbei und haben uns eine Zuckerstange oder ein paar Bonbons gekauft.

Meine erste eigene Wohnung

Meine erste eigene Wohnung hatte ich nach dem Studium, das war 1983, in der Eberswalder Straße 16. Ein Zimmer im Seitenflügel, Küche und Außenklo. Ich hab gesagt, ich zieh da nur ein, wenn ich noch ein zusätzliches Fenster in die Brandmauer einbauen kann. Die Wohnung hatte eines der typischen Berliner Zimmer und war dadurch sehr dunkel. Die Genehmigung dafür bekam ich schnell, um den Einbau musste ich mich dann selber kümmern. Ich hatte damals einen Bekannten, der war so verliebt in mich, der hat gesagt, ich bau dir das Fenster ein. Und dann hat er mir ein Fenster eingebaut. In die Brandmauer. So hatte ich mehr Licht.

Später, mit dem Mauerfall 1989, hatte ich meinen eigenen Mauerdurchbruch. Mein damaliger Freund und ich haben die Wand zur Nebenwohnung eingerissen und beide Wohnungen zusammengelegt. Das hieß damals Ausbauwohnung. Wir haben alles selber gemacht. Wir haben die Fußböden abgezogen, ein Bad mit Innentoilette eingebaut. Wir hatten zwei Zimmer. Das Berliner Zimmer mit dem Fenster, ein Schlafzimmer, Küche, Bad. Das hat gereicht. Wir haben es uns wirklich schön gemacht.

Dann kam die soziale Stadterneuerung. Das war 2004. Da mussten wir raus. Der neue Eigentümer, Herr Donig, wollte Baufreiheit haben. Er hat uns mit allen Mitteln vertrieben. Die Außentoiletten wurden herausgerissen, obwohl im Haus noch Leute wohnten, die darauf angewiesen waren. In der Wohnung im vierten Stock ist er mit dem Presslufthammer durch die Decke gekommen. Das war, als wären wir in eine Schlacht geraten. Und das, während ich voll berufstätig war und zum Teil von zu Hause aus gearbeitet habe.

Das Auslaufen der Sozialbindung

Wir erhielten eine Umsetzwohnung in der Danziger Straße. Man kam sich vor wie so auf einem Verschiebebahnhof. Wir wollten nicht weg aus unserer Wohnung in der Eberswalder. Aber wir hatten keine Wahl. Das war damals schon eine Verdrängung. Klar, auf den ersten Blick kann man sagen, ein Eckzimmer Südostseite, ist natürlich toll. Aber es ist auch ziemlich zugig und im Sommer sehr heiß. Und, was hinzukommt, vieles ist hier möglichst billig saniert. Das Bad ohne Fenster. Dafür haben Sie dann das Treppenhaus besonders schick gemacht. Weil das den Wohnwert erhöht. Da kann der Eigentümer dann nämlich nochmal 20 Prozent auf die Miete draufschlagen. Das heißt dann „den Wohnwert erhöhende Ausstattungsmerkmale“. Das kommt nach dem Auslaufen der Sozialbildung zum Tragen. Bei uns ist das im Oktober. Da läuft unsere Sozialbindung aus.

Und dann weiß man nicht mal, wer eigentlich unser Eigentümer ist. Ich habe mal angefragt bei Covivio, wer ist eigentlich unser Eigentümer, aber nie eine Antwort bekommen. Dann habe ich selber recherchiert. In den Schreiben, die wir von der Covivio bekommen, die Covivio ist unsere Hausverwaltung, steht immer „im Auftrag der Residenz Berolina GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Wien“. Ich habe mich gefragt, wer ist denn eigentlich Residenz Berolina GmbH & Co. KG. Und herausgefunden, dass es sich dabei um eine sogenannte Kommandit-Gesellschaft handelt, die sich zusammensetzt aus einer Ärztekammer in der Steiermark und der Kronberg International, ein europaweit agierender dänischer Immobilienkonzern. Die Eigentümer meiner Wohnung sind also ein dänischer Konzern und Ärzte aus der Steiermark.

Was bleibt?

Inzwischen hat sich hier im Prenzlauer Berg praktisch alles verändert. Etwas bleibt. Du musst mal gucken. Wenn du von der Schönhauser durch die Eberswalder fährst. Dort, wo unten links die Werkstatt ist. Daneben etwas zurückgesetzt ein kleiner Kindergarten. Und dahinter dann das Haus. Da ist es. Das Fenster. Es ist noch da. Und wenn ich mal nicht mehr bin, dann kann ich sagen: Ich habe in Berlin ein Fenster hinterlassen, in einer Brandmauer.

Februar 2024

(Die Geschichte ‚Was bleibt‘ von Annerose wurde aufgeschrieben von der Gruppe ‚Geschichten sammeln‘ von Pankow gegen Verdrängung.)

 

 

 

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